Kann, wer das Unrecht in seiner Zeit sieht und erkennt, noch Hoffnung schöpfen? Die weit auseinander liegenden Stücke von Thomas Tallis und Bernd Alois Zimmermann, aufgeführt vom Schweizer Jugendchor und vom Berner Symphonieorchester unter Mario Venzago, sprechen davon auf eindringlichste Weise – über die Jahrhunderte hinweg.
Das Unrecht, das der Prediger Salomo sah, geschieht immer noch unter der Sonne. Darauf bezog sich Bernd Alois Zimmermann, als er 1970 sein schliesslich letztes Werk in Angriff nahm: ein Gegenstück zur Kantate «Omnia tempus habent». Tatsächlich verwendete Zimmermann den deutschen Bibeltext, konfrontierte ihn aber mit der Rede des Grossinquisitors aus Dostojewskis «Die Brüder Karamasow». Der spricht dem zurückgekehrten Jesus das Recht ab, sich wieder einzumischen.
Konkret das Unrecht der Rassendiskriminierung hatte Zimmermann vor Augen, als er 1954 sein Trompetenkonzert schrieb, das auf einem berühmten Negro Spiritual basiert.
Unterschiedliche Gestaltungsweisen, Jazz und Neue Musik, treten hier auf brüderliche Weise nebeneinander.
Dazwischen steht eine der gewaltigsten Klangarchitekturen der Musikgeschichte, die vierzigstimmige Motette «Spem in alium nunquam habui» für acht räumlich verteilte Gruppen zu fünf Stimmen, komponiert um 1570 vom Engländer Thomas Tallis. Der Text spricht von Hoffnung: «Ich habe niemals meine Hoffnung in irgendeinen anderen als dich gelegt, Gott Israels, der du zornig sein und doch wieder gnädig werden wirst, und der du all die Sünden des leidenden Menschen vergibst.»